Daniel Krause-Pongratz | Erster Beigeordneter des Landkreises Prignitz
Liebe Gäste,
am 8. Mai 1949 stimmten 65 Mitglieder des Parlamentarischen Rates über eine provisorische Verfassung ab. Was als Provisorium startete, feiert nun bald seinen 75. Geburtstag. Diese Verfassung wollte auch Lehren aus den Fehlern der Weimarer Republik und den Verbrechen des Nationalsozialismus ziehen, denn: Demokratie ist nicht selbstverständlich.
Wenn sich unsere Demokratie behaupten will, muss deren Leitidee immer wieder ins Bewusstsein gerufen werden, muss Demokratie eingeübt und vorbildhaft gelebt werden. Zugleich muss sich Demokratie auch zu verteidigen wissen, denn – das zeigt die Geschichte damals und heute –sie ist keineswegs für jeden die beste aller Staatsformen.
Im Mittelpunkt unseres Demokratiekonzeptes steht die zuweilen anstrengende, langwierige gemeinschaftliche Meinungs- und Willensbildung durch den Austausch von Argumenten. Die Freiräume, die unsere Demokratie für Meinungsäußerungen eröffnen will, sind Errungenschaft und Gefahr zugleich, denn sie werden von Menschen auch mit dem Ziel genutzt, die Demokratie selbst auszuhöhlen. Der Rechtsextremismus nutzt in seiner demokratiezersetzenden Strategie hierfür unter anderem Mythen.
Der Rechtsextremismus nutzt Mythen als Erzählrahmen, innerhalb derer dann Argumentationslinien nachvollziehbar aufgebaut werden können.
Lassen sie mich die Funktionsweise von Mythen anhand einer der beliebtesten Jugendbuchreihen der Welt veranschaulichen: Wenn Harry Potter Lord Voldemort letztlich in einem epischen Finale besiegt, genießen wird das auch deshalb, weil sich sein Sieg durch die Ereignisse der 7 Bände nachvollziehbar ergibt. Das funktioniert aber nur, wenn wir als Leserinnen und Leser den Erzählrahmen nicht kritisch hinterfragen und die Existenz einer parallelen Zauberer- und Hexenwelt als behauptete Wahrheit akzeptieren.
Solche Mythen, solche Erzählrahmen, solche behaupteten Wahrheiten zu erkennen und zu thematisieren ist aus meiner Sicht EIN wichtiger Baustein bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus.
Zwei rechtsextremistische Mythen möchte ich hier exemplarisch ansprechen.
Wir alle lernen irgendwann in der Schule Darwin und die Theorie der natürlichen Selektion kennen, nach der sich gut angepasste Lebewesen gegen weniger gut angepasste durchsetzen. Die Kurzformel lautet: survival of the fittest. Der Rechtsextremismus überträgt dieses Konzept der natürlichen Auslese in der Natur auf die Menschheit und erschafft den Mythos von einem Kampf der Völker, in dem nur die stärksten Völker überleben. Nach diesem Mythos ist das Volk, das sich durchsetzt auch das höherwertige Volk.
Wer diesen Erzählrahmen nutzt und sich als starkes Volk in dieser Geschichte versteht, für den erscheint es konsequent, dass er das Fremde als Schwächung im sozialdarwinistischen Kampf deutet und z. B. über den gesundem Volkskörper oder Deportation – begrifflich als Remigration getarnt – fabuliert.
Ein zweiter bedeutender rechtsextremistischer Mythos ist der Mythos von der Reinheit des Ursprungs. In dieser Erzählung wird Vergangenheit, das Traditionelle per se zum Wahren, Schönen, Richtigen stilisiert und die historischen Entwicklungen als ein Niedergang, ein Abfallen vom Ursprünglichen und Reinen gedeutet – als zunehmende Dekadenz.
Bei diesem Mythos, innerhalb dieses Erzählrahmens erscheint die Rückkehr zu vergangenen Gesellschaftsbildern, beispielsweise zur Verengung des Frauenbildes auf ihre biologische Funktion des Mutterseins oder die Idealisierung von körperlicher Kraft und Akzeptanz von Gewalt, folgerichtig.
Logische Schlussfolgerungen innerhalb der Geschichte, innerhalb des Denkrahmens, machen eine Geschichte aber nicht wahr. In einer funktionierenden Demokratie müssen solche Denkrahmen hinterfragt werden – und das gilt selbstverständlich für alle politischen Lager und auch für die eigenen Denkrahmen.
Lassen sie mich noch ganz kurz eine Anmerkung zum zweiten Anliegen der Ausstellung machen, zum Anliegen: Demokratie stärken. 2024 ist ein Superwahljahr: Am 9. Juni finden zeitgleich zur Europawahl die Kommunalwahlen statt. Am 22. September wählt dann Brandenburg einen neuen Landtag.
Jung und Alt werden schwer umhinkommen, dem Wahlkampf in der einen oder anderen Weise zu begegnen und Politik häufiger und unmittelbarer zu erleben. Wenn der ausgleichende Diskurs, die gemeinschaftliche Meinungs- und Willensbildung mit dem Ziel einer fairen Lösung als Fundament der Demokratie angesehen wird, dann stehen auch alle politischen Akteure in der Pflicht, sachlich zu argumentieren, anderen Argumentationen zuzuhören und von überzogenen, rein interessenorientierten Positionen abzusehen. Alle politischen Akteure, die diese Prinzipien leben – auch im Wahlkampf –, stärken Demokratie.
Ich danke ihnen ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und ich freue mich sehr auf diese Ausstellung und einen lebhaften Austausch von Argumenten.